Roland Wölfel
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Interview

Neue Nutzungen werden den Innenstädten ein neues Gesicht geben

 

Städte und Gemeinden leiden unter sinkenden Kundenfrequenzen. Dem entgegen zu wirken, sind alle Protagonisten gefordert. Denn die ’Macht‘ des Handels hört an der Schaufensterkante auf und stößt bei Einzelaktionen rasch an Grenzen, nicht nur finanzieller Art. „marketing berater – das BTE-Magazin für den Modehandel“ interviewte ROLAND WÖLFEL, cima, unter der Überschrift „Wie kreative Konzepte den Standort City beleben können.“ In der Ausgabe April/Mai 2019 wurde eine gekürzte Version dieses Interviews veröffentlicht.

 

Wie schätzen Sie den Frequenzverlust des Handels in den Innenstädten ein?

Der Frequenzverlust ist in vielen Städten da. Zuweilen gelingt es, touristisch und mit viel Erlebniselementen entgegenzuwirken. In den nächsten Jahren werden sich die Besuchsgründe verschieben, der Handel wird an Bedeutung als absolut dominanter Anziehungsfaktor verlieren. Wie werden viele neue, ergänzende Nutzungen brauchen, um das zu kompensieren. Vor allem die Eigentümer müssen sich auf andere, niedrigere Mieten in Innenstadtlagen einstellen. Überhöhte Erdgeschossmieten, die oftmals die Leerstände in den Obergeschossen mitfinanziert haben, werden (hoffentlich) der Vergangenheit angehören. Neue Nutzungen werden den Innenstädten ein neues Gesicht geben.

Was lockt Menschen in die Innenstadt?

Handel und Erlebnis, ein breites Angebot an Handel, Gastronomie und Erlebnissen – die Gesamtdestination ist hier gefordert. Eine große Rolle spielen nach wie vor Magnetbetriebe und Events. In neueren Untersuchungen zeichnet sich in einzelnen Städten schon eine leichte Verschiebung zu Gastronomie und Dienstleistungen ab.

Welche Unterschiede gibt es abhängig von der Größe der Stadt?

Je kleiner die Stadt, desto größer sind vielfach die Problempunkte. Allerdings sind neben der Größe natürlich die regionale Lage von großer Bedeutung. „Speckgürtelstädte“ können mit einem guten Dienstleistungs- und Nahversorgungsangebot eine große Bindung erzeugen.  Gerade in Klein- und Mittelstädten verstärken sich Fragen wie Frequenzverlust, Überalterung der Betriebsinhaber, fehlende Betriebsnachfolgen und mangelnde Attraktivität für junge Zielgruppen. Hier spielen Bildungs- und Gesundheitsangebote eine besondere Bedeutung. Nähe schlägt Größe, aber dazu muss in der Nähe auch etwas geboten werden.

Gestaltung, Ambiente, Erlebnis, Angebot – sind diese Aspekte gleich zu gewichten?

Nein. Schöne Plätze mit Aufenthalts-, Treffpunkt und Pausenqualitäten, konsumfreie Zonen mit offenen W-Lan und Spiel- und Chillbereiche sind für Familien, Senioren und Jugendliche von großer Bedeutung. Schöne Architektur und atmosphärische Injektionen (Licht, Wasser, Grün) bergen viele Potenziale.

Während Jugendliche beim Shoppen oft das Gruppenerlebnis im hippen Laden suchen, legen die ältere Generation mehr Wert auf Ambiente, Service und Beratung. Faktoren wie Nachhaltigkeit, verpackungsfrei und regional sind ebenfalls wichtige Angebotselemente, die es zu verstärken gilt. Inszenierungen auf Zeit und Provisorien oder Installationen auf Zeit wecken Neugierde und ziehen an.

Der zeitknappe Arbeitsnehmer braucht v.a. schnelle Erreichbarkeit. Wichtig ist auch der Aspekt Bequemlichkeit, unsere Städte und Einkaufstouren müssen nicht nur erlebnisreich, sondern v.a. auch bequem sein. Laut dem letzten cima.MONITOR (Besucherbefragung) ist die Bequemlichkeit der Hauptgrund ins Netz abzuwandern. Das betrifft Erreichbarkeit, Barrierefreiheit, Warenverfügbarkeit sowie schnelle Informationen und Reaktionszeiten.

Welche Rolle spielt die Verbindung von On- und Offlinewelt?

Online-Präsenz-Checks der cima zeigen immer wieder, dass maximal 70 Prozent der stationären Anbieter/Angebote online sicht­bar sind. Das bedeutet: Im Netz herrscht mehr als 30 Prozent digitaler Leer­stand. Das bedeutet gleichzeitig auch eine deutlich geringere Attraktivität für die große Mehrheit der Kunden, die ihre Suche nach Produkten und Angeboten im Netz beginnen. Also: Grundlegend für jeden Akteur ist die Präsenz und leichte Auffindbarkeit im Netz. Online- und Offline müssen die gleiche Qualität und Informationsabdeckung haben.

Wie wichtig sind digitale Tools am POS?

Dieser Bereich ist aktuell noch nicht von so hoher Relevanz, wird aber an Bedeutung zunehmen. Diese Elemente spielerisch oder arbeitserleichternd einzubauen macht sicherlich Sinn, davor müssen aber andere Hausaufgaben (s.o.) gemacht werden. Wenn diese Aspekte richtig inszeniert werden, können Sie einen POI und Besuchsgrund darstellen. Bevor man sich mit einzelnen Tools und Werkzeugen auseinandersetzt, braucht man eine digitale City-Strategie. Alles andere ist blinder Aktionismus. Neben den Citymanager brauchen wir ein Digital Office mit einem Digital Marketing Management in der Stadt. Wenn das wichtigste Thema in unserer Gesellschaft, die Digitalisierung im Integrierten Stadtmarketing, nicht mit einer personellen Ausstattung versehen wird, dann kratzen wir nur an der Oberfläche.

Gibt es Projekte in Sachen Frequenzsteigerung, die Sie für beispielhaft halten?

Wichtig ist deutlich zu machen, dass es in vielen Städten nicht darum geht, die Frequenz zu steigern, sondern v.a. weitere Frequenzverluste zu stoppen. Wir machen gute Erfahrungen mit kleinen auf Stammkunden fokussierten Kampagnen und Aktionen, die die lokale Community ansprechen. Von Einkaufsführungen (Gruppeninszenierung des Einkaufens), über eine systematische Aufwertung und thematische Profilschärfung von Märkten, Storytelling-Kampagnen/Bloggern in den sozialen Medien bis zu lokalen Währungen mit Breiteneffekt gibt es viele erfolgreiche Programme, die aber immer lokal übersetzt werden müssen. Diese Themen brauchen, wie die Digitalisierung vor Ort auch, ein professionelles Management (Quartiers- und Citymanagement). In vielen Quartieren betreibt die cima „digitales Streetworking“.

Vielen Dank!

Fragen wurden gestellt von Ulrike Ascheberg-Klever

 

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