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Handlungsbedarfe der Innenstädte nach Corona

 

Ortszentren stehen als Handelslagen seit Jahren unter enormem Druck. Veränderte Lebensstile und Konsummuster geben neue Rahmenbedingungen vor und die Folgen der Corona-Pandemie tun ihr Übriges. Sind zu viele Betriebe oder gar Handelsmagneten, die bereits seit Jahren kriseln, betroffen, kann das weitreichende  Entwicklungen für unsere Innenstädte auslösen. Ein Kreislauf von Leerstand und Trading Down darf möglichst nicht entstehen – oder muss schnell durchbrochen werden.

 

Unseren Stadtzentren droht ein dramatischer Niedergang.

So formuliert es ein gemeinsames Statement von Bundesstiftung Baukultur, Deutschem Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Handelsverband Deutschland und urbanicom anlässlich eines öffentlichen fachpolitischen Gesprächs im September 2020. Als stellvertretender Vorstandsvorsitzender von urbanicom unterstütze ich dieses Positionspapier, welches mutige, konsequente und kreative Umgestaltung unserer Innenstädte fordert und die Bundesregierung zur massiven Unterstützung auffordert. Vieles kann nur bedingt lokal gelöst werden – hier sind Verbände und Politik gefordert.

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Innenstadt nach Corona: Unsere Mitte.

Dort, wo es überwiegend intakte Strukturen gibt, wo Plätze und Nebenlagen auch als Treffpunkte für Menschen funktionieren und sich der Ort zusätzlich durch städtebauliche oder lokale Besonderheiten profilieren kann, können Betriebsaufgaben z.B. durch Dienstleister oder Gastronomiekonzepte zumindest teilweise kompensiert werden. Denn Innenstädte sind mehr als Güterverteilzentren. Sie können Vielfalt abbilden und Lebensort sein. Als Orte der sozialen Interaktion und Emotion tragen sie künftig noch stärker zur Lebensqualität bei.

Besonderer Handlungsbedarf besteht an solchen Orten, an denen die Strukturen bereits so verändert sind, dass das Vertrauen auf Selbstheilung nicht mehr ausreicht. Jetzt muss sofort und vor Ort agiert werden. Die im Oktober 2020 von Wirtschaftsminister Altmaier am „Runden Tisch Vitale Innenstädte“ versprochene Modernisierungswelle bis 2022 ist nötig, muss aber fördertechnisch noch unterfüttert werden. Es müssen Programme entwickelt werden, die sofort und lokal wirken. Mit bestehenden Instrumenten der Städtebauförderung lassen sich viele der erprobten Maßnahmen umsetzen – auch ohne Baurechts- und Steuerrechtsänderungen. Viele erfolgreiche Wege sind beispielsweise auch aus Stadtmarketingprozessen bekannt und bedürfen „nur“ der Umsetzung.

Wenn ich sehe, wie rege City- und Quartiersmanager innerstädtische Masterpläne, Standort-Wettbewerbe, Leerstands- und Qualifizierungsoffensiven und ähnliches bereits umsetzen, ist mir dabei nicht bange. Ohne diese zentralen Akteure, die innovative Ideen voranbringen, geht es nicht. Und ohne Kümmern 2.0 wird das digitale und analoge Potenzial in den Städten und Gemeinden nicht ausgeschöpft. Wirtschaftsförderungen können anstoßen, begleiten oder beauftragen.

In die richtige Richtung weist zweifelsohne BMI-Staatssekretärin Anne Katrin Bohle jüngst in einer Expertenrunde: „Es geht bei Smart City immer um die Frage der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung. Jede Stadt muss individuell betrachtet werden, die jeweiligen Inhalte und Ergebnisse der Modellprojekte sind transparent zu machen, um größtmöglichen Mehrwert für alle Kommunen zu generieren.“ Mit der Ankündigung zur bcsd-Tagung, die Städtebauförderung hinsichtlich der Förderquoten noch zu verbessern, z. B. Zusatzbonus für interkommunale Aktivitäten, mögliche Verringerung des Eigenanteils für finanzschwache Kommunen, werden die ‚Stadtoptimisten‘ noch optimistischer.

Vier Gedanken für die nahe Zukunft:

Innenstadt-Umbau statt Reparatur

Innenstädte haben seit jeher eine hohe Resilienz und Transformationskraft bewiesen. Um den Nutzungsmix der Innenstädte zukunftsfähig zu machen, ist es wichtig, die aktuelle Situation für ein echtes „Neudenken“ der innerstädtischen Funktionen und Strukturen zu nutzen. Ein großer Fehler wäre, nur zu reparieren und den bekannten Zustand wieder herstellen zu wollen. Hier muss, trotz aller Probleme und v.a. ökonomischer Einschränkungen, mehr drin sein. Mut, Veränderungsbereitschaft und Experimente für echten Umbau sind gefragt.

Innenstadt kann mehr als Handel – Qualität statt Quantität

Innenstädte haben nun die Chance über ihre Entwicklung vom Handelsplatz der 80er/90er Jahre über den Erlebnisort der 2000er Jahre durch eine verstärkte soziale Interaktion, Identifikation und vielfältigere Nutzungsmischung zu einem echten Lebensmittelpunkt zu werden. Hierzu ist erforderlich, die Attraktivität nicht nur an Kriterien wie Frequenz, Zentralität und Einzugsbereich, sondern in der Vielzahl der Funktionen und sozialen Interaktionen zu messen. Kriterien, wie sozialer Zusammenhalt, kultureller Wert, Vielfalt und Lebensqualität stehen dabei im Fokus.

Innenstadt als Herzensangelegenheit – und Identifikationspunkt

Durch die Corona-Pandemie entsteht bei Bürgerinnen und Bürgern, Verwaltungen und Politik ein neues Bewusstsein für ihre Ortszentren. Zahlreiche spontane Hilfs- und Treueinitiativen für die lokale Wirtschaft sind ein guter Anfang. Nun geht es darum, dieses Bewusstsein in Form neuer Angebote und einer neuen Politik offensiv aufzunehmen. Die vielen bunten Aktionen dürfen keine Feuerwehraktionen bleiben, sondern müssen konsequent weiterentwickelt, ja zur Gewohnheit werden. Dabei geht es sowohl um digitale Services, als auch um die Faktoren Identität und Regionalität.

Innenstadt ist Gemeinwohlfaktor, kein Spekulationsobjekt

Gerade im Lockdown wird deutlich, wie wichtig es ist, die Innenstadt nicht als spekulativen Investitionsstandort zu sehen. Dies zeigte vor allem die Flexibilität vieler lokaler/regionaler Haus- und Grundbesitzer, die sofort auf die veränderte Situation von Handel und Gastronomie eingingen, Mieten reduzierten und Mietverträge temporär angepasst haben, um ein Überleben der Unternehmen zu sichern. „Eigentum verpflichtet“ wurde vielfach ernst genommen

Die Politik – nicht nur die – hat die einmalige Chance, die Veränderung im Sinne einer nachhaltigen, integrierten Stadtentwicklung zu ermöglichen. Die Innenstadt wird „Unsere Mitte“. Lassen Sie uns die Idee der europäischen Stadt neu beleben!

 

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Autor*in

Roland Wölfel

cima // Geschäftsführer, Partner

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