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Die neue Form von Bürgerbeteiligung

 

Montagvormittag stehen bei mir seit geraumer Zeit quasi Privatbesuche im Kalender. Statt Meeting im Besprechungsraum besuche ich meine Kolleg*innen per Mausklick in ihrem Wohnzimmer. Die letzte wöchentliche Teambesprechung, die nicht online abgehalten wurde, liegt bereits einige Zeit zurück. Nach über einem halben Jahr Pandemie ist das digitale Videoformat also zweifelsohne zur neuen Normalität geworden.

Wird jetzt alles digital?

Mit zunehmender Dauer der Pandemie steht fest: Der schnelle Video-Call entwickelt sich bei der internen und externen Kommunikation zum (zusätzlichen) Standard. Er ist Bestandteil des Berater-Alltags geworden. Egal ob mit Auftraggebern zur Ergebnispräsentation oder zur virtuellen Teamsitzung zum Projektstatus – die Videokonferenz muss in vielerlei Hinsicht das gewohnte, unmittelbare und persönliche Gespräch ersetzen. Aber der Zwang zum Umdenken hat auch gute Seiten. Die Besprechungen sind oftmals konkreter und zielgerichteter. Zudem werden viele Fahrten ersetzt. Dass das digitale Format im kleinen Rahmen funktioniert, ist eine Erkenntnis, die mittlerweile überall angekommen zu sein scheint.

Doch was ist mit Fahrten, die nicht unnötig sind? Was geschieht mit Besprechungen, die ich nicht ohne Weiteres auf eine einstündige Zoom-Sitzung kürzen kann? Was tun, mit Formaten bei denen oftmals zehn, zwanzig oder mehr Teilnehmer zu Wort kommen möchten? Funktioniert auch das digital?

Als im Sommer zwischenzeitlich eine zaghafte Rückkehr zum zuvor gewohnten Arbeitsalltag Einzug hielt, wuchs die Hoffnung, auch die Beratung wieder „normal“ fortsetzen zu können. Mit aufflammendem Infektionsgeschehen und den Auflagen wurde aber schnell deutlich: Für viele Veranstaltungen stellen Verschiebung oder gar Ausfall keine Lösung dar. Denn Stadtentwicklung lebt von Beteiligung. Projekte sollen fortgesetzt und Beteiligungen müssen und sollen durchgeführt werden. Und so ist die Alternative auch hier der Wechsel in die digitale Welt.

Der Sprung ins Neue wird zur gelungenen Bürgerbeteiligung

Aus dieser Notwendigkeit heraus, ist dies zum Beispiel bei der Bürgerbeteiligung eines Nutzungskonzeptes für die Ortsmitte der Gemeinde Odelzhausen (Bayern) geschehen. Anstelle einer klassischen Veranstaltung  zur Bürgerinformation fand quasi ein politisches Online-Public-Viewing statt. Das Nutzungskonzept stellte ich aus meinem cima-Büro heraus interessierten Bürgerinnen und Bürgern in einem Live-Vortrag und begleitender Präsentation online vor. Zur Anhörung und Diskussion befand sich der Gemeinderat gemeinsam im Sitzungssaal. Über 60 Personen nahmen online teil und in die  Liste der Online-Teilnehmer mischten sich neben bekannten Namen auch bis dato Unbeteiligte. Eine rege Chat-Beteiligung lies anfängliche Hürden des ungewohnten Formats vergessen. Die Reaktion auf die neue Art der Veranstaltung war seitens der Gemeinde durchweg positiv.

Die Beratung entwickelt sich weiter

Dieser Eindruck verfestigt sich in weiteren Beratungs-Projekten zunehmend. Und während ich weitere neue Möglichkeiten entdecke, ziehen neue Erkenntnisse ein:

  1. Beteiligungs- und Erarbeitungsformate bedürfen einer anderen Vorbereitung und Handhabung. Auch ich muss Auftreten, Sprache und Gestik für einen Vortrag am Bildschirm anpassen und andere Methoden der Beteiligung anwenden.

  2. Die Beratung über das „Wie“ nimmt wieder einen höheren Stellenwert ein. Bislang war vermeintlich klar, wie ein Bürger-Workshop zu absolvieren ist. In der neuen Umgebung sind Know-How und technische Möglichkeiten seitens meiner Auftraggeber oftmals noch eingeschränkt. Hier muss ich mehr leisten und das Gegenüber muss früher „abgeholt“ werden.

  3. Auch ohne die oftmals langen Reisezeiten ist der Aufwand für eine professionelle Online-Durchführung keinesfalls niedriger, als bei einer Umsetzung vor Ort. Einrichtung, Einladung, Leitung einer Sitzung, technische Betreuung der Teilnehmenden, Moderation der Beitragenden – all das ist nicht unbeträchtlicher Aufwand.

  4. Die Zielgruppe unterscheidet sich zum Teil deutlich vom gewohnten Bild. Die bequeme Online-Beteiligung für Interessierte vom heimischen Sofa über Laptop, Tablet oder Smartphone führt dazu, dass sich andere und oftmals auch jüngere Teilnehmende beteiligen. Diese sind bei Veranstaltungen vor Ort oftmals unterrepräsentiert. So können Wissen, Erfahrungen und Input aufgegriffen werden, die bislang verborgen waren. Und das, ohne dabei bisherige Zielgruppen auszuschließen.

Was bleibt? Online und Präsenz

Ersetzt eine Online-Durchführung ab sofort die Präsenz-Veranstaltung? Nein. Zu wichtig sind persönliche Gespräche, gemeinsames Erarbeiten von Inhalten oder der lockere Austausch nach der Veranstaltung. Bietet eine Online-Veranstaltung einen Mehrwert, der auch im regulären analogen Betrieb einen Platz hat? Klares Ja! Neue Umsetzungsmöglichkeiten, zusätzliche Zielgruppen und folglich weitere Meinungen können gewinnbringend für viele künftige Prozesse sein.

Für uns Berater ist während und vor allem nach den Einschränkungen die wichtige Aufgabe, unsere Instrumente und Formate neu abzustimmen. Die Erfahrungen aus den aktuellen Projekten, die zunächst aus der Not heraus umgesetzt wurden, können äußerst sinnvoll in das bestehende Set eingefügt werden. Auch in Zukunft werden digitale Informationsveranstaltung, Online-Workshops oder Videopräsentationen es erlauben, Beteiligungen noch zu verbessern. Dass die Notwendigkeit dafür besteht, zeigen viele geeignete Beispiele.

Meiner Meinung nach muss das Fazit also lauten: Das Online-Format bleibt! Für kurze Abstimmungen und noch flexiblere Handhabung von Besprechungen. Daran sind wir gewöhnt. Aber auch zur Vergrößerung der Reichweite bei Beteiligungsprozessen und zur Einbindung unterschiedlicher Zielgruppen. Letztendlich bringen wir damit die Beteiligung dorthin, wo sie hingehört, zu den Betroffenen und Bürgern. Wenn es sein muss bis ins Wohnzimmer.

 

Foto von Anna Shvets von Pexels
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Autor*in

Christoph Hübner

cima // Berater

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